Berliner Blau: Bernie Gunther ermittelt am Obersalzberg

Das Jahr ist 1956. Das Buch ist Berliner Blau (im Original Prussian Blue), Band 12 der Reihe. Bernie Gunther lebt unter falscher Identität in Cap Ferrat an der Côte d’Azur. Dort ist er als Walter Wolf der Concierge im Grand Hotel.

Nach den Wirrungen rund um den Schriftsteller Somerset Maugham und den Spionagering der Cambridge Five in Kalter Frieden (im Original: The Other Side of Silence), versucht Bernie wieder zu einem normalen Leben zurück zu finden und Anne French zu vergessen.

Es kommt wie es kommen muss für Bernie

Doch es kommt, wie so oft in Bernies Leben: Er kommt nicht zur Ruhe. Eines Tages erhält er Nachricht von seiner Noch-Ehefrau Elisabeth. Sie kündigt eine Reise nach Frankreich an und lädt ihn zum Essen ein. Doch statt seiner Frau sitzt plötzlich Genosse General Erich Mielke, Herr über das Ministerium für Staatssicherheit, am Tisch und lässt es sich auf Rechnung des Arbeiter- und Bauernstaats gut gehen. Bei Hummer, Steak und Mouton Rothschild will er Bernie zwingen, nach England zu Reisen und Anne French zu töten.

Als Bernie sich weigert bekommt er die Macht des MfS zu spüren. Er muss Cap Ferrat verlassen. Seine falsche Identität fliegt auf. Sowohl Bernhard Gunther wie Walter Wolf werden nun von den französischen Behörden gejagt. Er begibt sich auf eine Odyssee durch Frankreich und versucht verzweifelt der Polizei und den Häschern der Stasi zu entkommen. Unter Führung seines ehemaligen Kriminalassistenten Friedrich Korsch sind diese ihm direkt auf den Fersen.

In dem, bei Kerr üblichen, zweiten Handlungsstrang erinnert sich Bernie an eine Ermittlung im Frühjahr 1939. Er war von Heydrich wieder in den Polizeidienst gezwungen worden, aber es war noch Frieden. Auch war Heydrichs Würgegriff um die Sicherheitsorgane des Reiches noch nicht so fest…

Am Obersalzberg wird ein Mann ermordet, mitten im Führersperrgebiet. Und das auch noch kurz vor des Führers Geburtstag. Bernie und Korsch müssen den Mord noch vor Hitlers Ankunft und vor den Feierlichkeiten zu dessen 50. Geburtstag aufklären, sonst…

Für Fans ein Muss…

Wie in den vorherigen Büchern des großartigen Philip Kerr gibt es auch in Berliner Blau wieder alles was von einem Gunther zu erwarten ist: Nazis, Beefsteak-Nazis (außen braun, innen rot), Geheimdienste, einen Mord, Heydrich, … Diesmal auch mit dabei: Rudolf Heß, Martin und Albert Bormann, Kaltenbrunner und eine Reihe weiterer bekannter und weniger bekannter Naziverbrecher.

Wie immer werden die Figuren, sowohl die erdachten wie die realen, großartig von Kerr portraitiert und in Beziehung zueinander gesetzt. Wie immer wird die Szenerie des Dritten Reiches lebendig.

Am Berg wird gebaut wie verrückt, sowohl über der Erde (sehr zum Leidwesen der lokalen Bevölkerung) wie unter der Erde. Der Obersalzberg wird sehr anschaulich zum Leben erweckt und die permanente Anwesenheit von Hitler in der Wahrnehmung der Figuren (obwohl er physisch gar nicht da ist) erinnert ein wenig an die Atmosphäre des Romans Evas Cousine von Sybille Knaus.

… für alle anderen nicht so

Wie gesagt, für Fans ein Muss. Allerdings ist für mich die Nummer 12 ein kleiner Durchhänger in der Serie. Teilweise liegt das in der Natur der Sache, Bernie ist nicht mehr der Jüngste und sein stets zunehmender Zynismus geht einem irgendwann dann doch auf die Nerven. Teilweise scheint es aber auch, dass Kerr selbst seiner Schöpfung etwas überdrüssig wurde. Insgesamt ist die Handlung nicht so überzeugend wie in den früheren Teilen.

Alle (noch) nicht-Fans sollten sich also eher an die früheren Bände der Reihe halten. Den Einstieg in die Serie sollte man mit Band 1 Feuer in Berlin (Original: March Violets)  machen und sich dann durch lesen. Wer bis hierher durchhält, ist ein Fan und wird auch den zwölften Teil gerne lesen.

Aber es lohnt dabei zu bleiben. In Band 13 wird es wieder besser. Bernie wird zwar nicht jünger und bestimmt nicht weniger zynisch, aber Kerr schafft ihm eine neue Aufgabe, die seine Ermittlerfähigkeiten wieder fordert.

Diese Buchbesprechnung wurde von Rowohlt (Wunderlich) mit einem Rezensionsexemplar unterstützt.

Barry Eisler: The Killer Collective

When a joint FBI–Seattle Police investigation of an international child pornography ring gets too close to certain powerful people, sex-crimes detective Livia Lone becomes the target of a hit that barely goes awry—a hit that had been offered to John Rain, a retired specialist in “natural causes.”

Toller Pitch für ein Buch. Am interessantesten ist, dass sowohl das mutmaßliche Opfer, Livia Lone, als auch der mutmaßliche Mörder, John Rain, Helden ihrer jeweiligen Thriller-Serie von Barry Eisler sind.

Ich habe The Killer Collective aber nicht wegen des Pitches gekauft. Vor allem kaufte ich es, um herauszufinden, warum ich Barry nicht vom ersten Platz in Amazons englischsprachiger Thriller-Kategorie verdrängen konnte, als Another Man’s Freedom Fighter herauskam.

Jetzt, nachdem ich das Buch gelesen habe, muss ich zugeben, dass Barry zu Recht an der Spitze steht (bis heute, 2 Monate später). Es ist ein großartiges Buch, hat großartige Charaktere und eine großartige Mischung aus Dialog, Romantik und Action. Hut ab vor dem Meister.

Ich werde wahrscheinlich in naher Zukunft ein John Rain-Buch kaufen, er schien am ehesten zu meiner Vorstellung von einem Helden zu passen. Livia, Dox und die anderen scheinen gut gestaltete Charaktere für die spezifischen Sub-Genres zu sein, zu denen sie gehören, aber nicht meine Art Mann/Frau.

 

Spiel, Satz und Sieg: Bernard Samson hat mich für sich gewonnen

In den vielen Spionage-Literatur-Gruppen auf Facebook stolperte ich immer wieder über den Autor Len Deighton und seinen Hauptcharakter Bernard Samson.

Bisher hatte ich noch nichts von Deighton gelesen dabei wurde er von manchen Kritikern „besser als Fleming“ bewertet. Das ist eine Ansage. Zeit also, diese Bildungslücke zu schließen.

Ich begann mit Berlin Game (auf Englisch, gibt’s natürlich auch nicht auf Deutsch)… und da fängt der Ärger eigentlich schon an. Es gibt keine aktuelle deutsche Ausgabe der drei Bernard Samson Trilogien. In den Achtzigern brachte zunächst der Bücherbund (1984) und anschließend Ullstein (1987) ein paar lieblos gemachte Ausgaben raus, die heute nur noch antiquarisch zu haben sind.

Warum so lieblos?

Warum lieblos? Zum einen, die Cover waren sogar für damalige Verhältnisse sagenhaft hässlich.

        

Zum anderen wurde der Wortwitz der drei Buchtitel Game, Set, Match vorschnell geopfert. Die Achtziger waren schließlich die Zeit von Bum-Bum-Boris und uns‘ Steffi. Spiel, Satz und Sieg hätte jemand, der zehn Mark für ein Hardcover ausgibt schon verstanden. Statt dessen wurden die Bücher der ersten Trilogie wie folgt betitelt: Brahms Vier (gähn), Mexiko Poker (häh?) und London Match (aha, geht doch, nur zu spät).

Die zweite Trilogie Hook, Line, Sinker wurde noch schlimmer behandelt oder mit um es mit Ullstein zu sagen: Geködert, Gedrillt, Gelinkt. Deightons dritte Trilogie hatte vergleichsweise mehr Glück: sie wurde gar nicht ins Deutsche übersetzt.

Es gibt ein kleines bisschen Hoffnung, denn Heyne hat gerade SS-GB, ein Stück Deightons über einen Alternativen Verlauf des Zweiten Weltkriegs, ins Programm gehoben. Zwar hauptsächlich wegen der erfolgreichen BBC-Verfilmung des Stoffs… aber immerhin. Vielleicht erbarmt sich dort auch noch jemand der eigentlich sehr unterhaltsamen und spannenden Samsons.

Zur Sache also. Warum würde ich nur allzu gern die drei Samson-Trilogien auf Deutsch aufgelegt sehen? Ganz einfach, weil sie großartig für das deutsche Publikum funktionieren würden. Sie spielen in den Achtzigern und stehen neben aktuell hochangesagten und in der gleichen Zeit angelegten Serien wie Deutschland ’83/’86 und The Americans.

Was ich auch mag: Samson ist, anders als die meisten Brit-Spies und anders als seine Vorgesetzten, kein Eton-Absolvent (oder einer anderen „Public School“). Er wuchs als Sohn eines britischen Geheimdienstlers in Berlin auf und kennt das Pflaster wie ein Einheimischer. Er hat in der Stadt viele Freunde, manche eher schattige Gestalten, und spricht einwandfrei Berlinerisch (was seine am wenigsten sympathische Eigenschaft ist). Er wird häufiger Bernd genannt als Bernard, und das immerhin im englischen Original.

Worum es in der Reihe geht

Die erste Trilogie beginnt im Jahr 1983, also auf dem absoluten Höhepunkt des Kalten Kriegs. Samson ist ein schnoddriger, seinen schnöseligen Kollegen und Vorgesetzen gegenüber respektloser, vorzeitig gealteter Spion. Allerdings ist er auch ein hervorragender Menschenkenner, außer wenn es um seine Frau geht. Außerdem ist er seinen Quellen und Freunden absolut treu, er ist hoch intelligent und voll und ganz der guten Sache verpflichtet. Vor allem die drei letzteren Qualitäten machen ihn zu einem guten Geheimdienstler und einem liebenswerten Helden.

My photo stared back at me from its silver frame. Bernard Samson, a serious young man with a baby face, wavy hair and horn-rimmed glasses, looked nothing like the wrinkled old fool I shaved every morning.

— Len Deighton, Berlin Game
Eben weil er kein Public School Schnösel ist, glaubt Samson immer wieder bei Beförderungen übergangen zu werden. Das Old Boys-Network hält zusammen, was seine Kollegen auch bei jeder Gelegenheit mit dummen Geschichten aus dem Internat zu bestätigen wissen. Er hat es im „Department“, dem Secret Intelligence Service (SIS), auch bekannt als MI6, trotzdem einigermaßen weit gebracht. Er ist also James Bonds Kollege. Eigentlich wäre er sogar 007s Chef, denn er ist kein Field Agent mehr sondern schon so etwas wie ein Abteilungsleiter.
Vom Stil her erinnert Deighton an das Spionageroman-Schwergewicht le Carrée, die Hauptcharaktere von beiden sind in sich gekehrte und nachdenkliche Typen, in allen anderen Punkten könnten sie aber unterschiedlicher nicht sein. Während Carrés George Smiley eher ein intellektueller Schreibtischtäter ist, ist Samson, obwohl längst aufgestiegen, im Herzen immer noch Agent im Feld. Er ist ein Anpacker.

Was ist da nur los?

Woran mag es liegen, dass Deighton in Deutschland vergleichsweise wenig Erfolg beschieden war? Es mag an Ullstein gelegen haben, aber das wäre zu einfach. Eigentlich hat grade die Samson-Reihe alles was einen Erfolg in Deutschland befördern würde: sie spielt in Deutschland, es geht um Ost und West, sie ist intelligent geschrieben. Aber leider von einem Engländer. Das wird es wohl sein. Wir Deutschen mögen das nicht so gerne, von anderen gesagt zu bekommen, wie wir ticken.
Dabei kennen die uns doch so gut. Deighton jedenfalls schon und der leider zu früh verstorbene Philip Kerr auch. Dessen Bernie Gunther Reihe wird grade wieder bei Rowohlt (Taschenbuch) und deren Label Wunderlich (Hardcover) neu aufgelegt und das mit der Zuneigung, die die großartigen Bücher von Philip Kerr verdienen.
Eine neue deutsche Bearbeitung wäre Deighton zu wünschen. Seine Bücher, und das deutsche Publikum, hätten es verdient.

Ein wunderbares Buch für Kinder und Jugendliche: Friedrich der Große Detektiv

Ich bin ein großer Fan der Bernie Günther-Reihe des britischen Autors Philip Kerr. Kerr ist leider viel zu früh, erst 62-jährig, im vergangenen Jahr verstorben ist.

Kerr, obwohl Brite, schafft es in seinen Günther-Büchern auf unnachahmliche Weise, die Atmosphäre Weimar-Deutschlands und des Dritten Reiches in Worten zu vermitteln. Ortsbeschreibungen aus dem Berlin der Zwischenkriegszeit, deutsche Einschübe (im englischen Original), zeittypischer „Slang“, Charaktere und ihre Schicksale lassen diese seltsame Zeit lebendig werden.

Die Günther-Thriller sind recht hart, oft brutal, was teilweise den Zeiten in denen sie spielen geschuldet ist. Kerr hat jedoch auch Kinderbücher geschrieben. Friedrich der Große Detektiv ist eines davon. Auch der Friedrich spielt in den im Berlin der Zwischenkriegsjahre.

Für Fans von Emil ein herrliches Lesevergnügen

Der Titel und auch das Buchcover erinnern unverholen an Emil und die Detektive. Das ist Absicht und keineswegs eine billige Masche. Der Klappentext faßt das Buch wunderbar zusammen:

«Emil und die Detektive» wäre auch dann Friedrichs Lieblingsbuch, wenn der Autor Erich Kästner nicht zufällig sein Nachbar und Freund wäre. Seit er es gelesen hat, träumt er davon, selbst Detektiv zu werden. Mit seinen Freunden Albert und Viktoria – die so klug ist, dass sie nur «Doktor» genannt wird – hilft er bereits der Berliner Polizei dabei, im Tiergarten verlorene Gegenstände aufzuspüren. Sein älterer Bruder Rolf dagegen schließt sich den Nazis an und beteiligt sich begeistert an der Bücherverbrennung 1933. Friedrich muss mit ansehen, wie dort auch Kästners Bücher verbrannt werden. Und bald darauf setzt die Polizei die Kinder sogar darauf an, den Schriftsteller auszuspionieren! Als dann auch noch ein Mord geschieht, wird Friedrich schlagartig klar, dass die Zeit der Detektivspiele für immer vorbei ist.
Ein spannendes Leseabenteuer von Bestsellerautor Philip Kerr – und eine Hommage an Erich Kästner.

Erich Kästner selbst spielt in dem Buch eine bedeutende Nebenrolle. Er ist Friedrichs Freund und schenkt ihm einen Detektivkoffer, stellt ihn interessanten Persönlichkeiten wie Billy Wilder, Walter Trier und Max Liebermann vor.

Er hilft Friedrich auch, mit seinen inneren Konflikten rund um die Fackelaufmärsche, Zwangsmitgliedschaft in der Hilterjugend und die anderen schlimmen Ereignisse dieser Zeit klar zu kommen. Sein Rat ist es auch, der Friedrich hilft sich in diesem harten Leben selbst treu zu bleiben.

Kurzum, Kästner ist für Friedrich ein männliches Vorbild, ein Türöffner und Ratgeber; das was man früher einen väterlichen Freund nannte.

Warum ich das Buch mag

Ich liebte Emil und die Detektive als Kind. Wie die meisten Jungs im Grundschulalter war ich natürlich auch ein Detektiv und ein Geheimagent nachdem die Cowboy- und Piraten-Phasen vorbei waren.

Friedrich ist wahrlich eine Hommage an Kästner und seinen Emil. Es taugt sogar zur inoffiziellen Fortsetzung. Es ist auch in sich eine spannende Geschichte mit einem Mord, der aufgeklärt werden will und einer lustigen Episode rund um eine verlorene Uhr. Sehr schön ist auch die sich entwickelnde Freundschaft zwischen dem Erwachsenen Kästner und dem jungen Gymnasiasten. Die Gedanken Friedrichs zu den sich radikal ändernden Zeiten sind ebenfalls sehr interessant nachzuvollziehen. Die Risse, die die Nationalsozialisten durch Familien, auch durch Friedrichs Familie, reißen machen nachdenklich.

Friedrich ist ein Buch, das in unsere heutigen Zeiten passt und Heranwachsenden Stoff zum Nachdenken gibt. Leider sind unsere Zeiten in manchem den Weimarer Zeiten schon sehr ähnlich, so zum Beispiel die zunehmende Popularität politischer Positionen am ganz rechten wie am ganz linken Rand des Spektrums.

Die Sprache ist leicht, für ein junges Publikum gut lesbar, dennoch auch für ältere unterhaltsam. Auch im Friedrich lebt das Berlin der Zwanziger und Dreißiger auf. Die Unbeschwertheit der Roaring Twenties weicht der Armut der Großen Depression und dem Terror der Machtergreifung.

«Eine kluge, packende Mischung aus Krimi und Zeitgeschichte» (GeoLino)

Ich würde das Buch definitiv meinen Kindern im richtigen Alter zu lesen geben. Am besten nachdem sie Emil gelesen, und hoffentlich gemocht, haben. Als Vater oder Mutter sollte man die Lektüre allerdings aktiv begleiten. Die Themen Trennung, Familienkonflikte, Tod und Trauer, Faschismus, Judenverfolgung und Krieg sollten mit den Kindern besprochen werden. Der Verlag empfiehlt das Buch für Kinder ab 11 Jahren.

Friedrich der Große Detektiv ist auf deutsch im Rowohlt Verlag (unter dem Rotfuchs Label) erschienen und kostet als Hardcover 14,99 €, als E-Book 12,99 €.

Ist Bernie Günther der ursprüngliche Reacher?

Philip Kerrs Berliner Bullen und Hoteldetektiv und Privatschnüffler und SS-Offizier und Abwehr Agent und Spion, okay das reicht erstmal, habe ich erst kürzlich für mich entdeckt. Und er hat meine Liste persönlicher Lieblingshelden schnell erklommen.

Moment mal! Der Held ist ein SS-Offizier?

Ja, und er ist dennoch ein echter Held, ein ‚good guy‘. Vertraut mir, es ist kompliziert. Nur so viel: er wurde es nicht freiwillig. Vielmehr wurde ihm von Reinhard Heydrich persönlich klar gemacht, dass er nicht ablehnen kann. Die daraus resultierende Irritation und Günthers interne Konflikte machen einen Teil des Charmes der Serie aus.

Ich begann die Serie mit Mission Walhalla (Original: Field Grey) zu lesen, dem siebten von vierzehn Büchern. Dieses Versehen hat meinem Lesespaß keinen Abbruch getan. Kerr schafft es, die Story zu bauen ohne dass man den rauhen, kantigen, sarkastischen Charakter vorher kennen muss. Außerdem ist Field Grey eine Art Autobiographie von Günther. Es beinhaltet viel von seinem, nennen wir es buntem, Leben.

Ich würde dennoch empfehlen, mit Feuer in Berlin (Original: March Violets) zu beginnen. Es macht die Zeitreise von heute in die Zwanziger und Dreißiger, also die Weimarer Republik und das Dritte Reich um einiges einfacher. Waschechter Berliner und Weltkriegsveteran Bernhard Günthers kunterbunter Lebensabschnitt beginnt in den letzten Jahren des ersten demokratischen Deutschlands: der Weimarer Republik. Für heutige Leser braucht es etwas Zeit sich in die Zeit der ‚Roaring Twenties‘, der großen Depression, hoher Arbeitslosigkeit und politischer Instabilität zu versetzen. Obwohl, manches kommt einem erschreckend aktuell vor.

Das erste demokratische Deutschland: Weimar 1918 – 1933

Wer das deutsche Schulsystem durchlaufen hat glaubt sich mehr als ausreichend vertraut mit der Zeit. Dennoch schafft es Kerr durch seine tief recherchierten Hintergründe und Biografien der VIPs der Zeit die Lektüre zu einem unterhaltsamen und lehrreichen Zeitvertreib zu machen.

So war ich überrascht, zu erfahren, dass Hugo Boss einst als Uniformschneider zum Großunternehmen wurde. Die Modefirma hat ihre Geschichte inzwischen aufgearbeitet und die Ergebnisse publiziert. Mir war das dennoch neu. Die Hauptdarsteller des Reichs, Himmler, Goering, Heydrich und auch die weniger bekannten wie Arthur Nebe und Adolf Eichmann tauchen in Nebenrollen immer wieder auf. Ihre Charaktere und insbesondere ihre Schrullen wie Okkulte Zeremonien, verrückte Hobbies und manchmal ihre versteckte Homosexualität oder ihr jüdisches Familienerbe sorgen manches mal für lehrreiche und unterhaltsame Momente.

Später in Bernies Leben, in seinen Fünfzigern, tauchen auch immer wieder Größen der Nachkriegszeit auf: Ernest Hemingway, Evita Perón und auch Erich Mielke, seines Zeichens Chef der Stasi.

Okay, Günther ist gut. Was hat er mit Reacher zu tun?

Oberflächlich betrachtet nicht viel, beide waren Polizisten und Soldaten. Reacher war beides gleichzeitig, Günther erst das eine, dann das andere und dann wieder das eine. Nur eine kurze Zeit als Ermittler in der Wehrmachtsuntersuchungstelle für Kriegsverbrechen (lehrreicher Moment, die gab es wirklich) war er beides.

Was beide eint sind ihre Charakterzüge. Nach etwa zwanzig Seiten glaubte ich Günther zu kennen. Ich hatte so ein ‚den kennste doch irgendwoher‘ Gefühl. Beide sind komplett bullshit-freie Persönlichkeiten, lassen sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen und beide sind keine Engel. Lee Child, Autor der Reacher Bücher, würde wohl sagen ’sie töten wer getötet werden muss‘. Ihr zu großes Maul, ihr Sarkasmus, ihr Problem mit Autoritäten sind so ähnlich, man könnte sie für Vater und Sohn halten.