Brandenburg Gate

Ist Bernie Günther der ursprüngliche Reacher?

Philip Kerrs Berliner Bullen und Hoteldetektiv und Privatschnüffler und SS-Offizier und Abwehr Agent und Spion, okay das reicht erstmal, habe ich erst kürzlich für mich entdeckt. Und er hat meine Liste persönlicher Lieblingshelden schnell erklommen.

Moment mal! Der Held ist ein SS-Offizier?

Ja, und er ist dennoch ein echter Held, ein ‚good guy‘. Vertraut mir, es ist kompliziert. Nur so viel: er wurde es nicht freiwillig. Vielmehr wurde ihm von Reinhard Heydrich persönlich klar gemacht, dass er nicht ablehnen kann. Die daraus resultierende Irritation und Günthers interne Konflikte machen einen Teil des Charmes der Serie aus.

Ich begann die Serie mit Mission Walhalla (Original: Field Grey) zu lesen, dem siebten von vierzehn Büchern. Dieses Versehen hat meinem Lesespaß keinen Abbruch getan. Kerr schafft es, die Story zu bauen ohne dass man den rauhen, kantigen, sarkastischen Charakter vorher kennen muss. Außerdem ist Field Grey eine Art Autobiographie von Günther. Es beinhaltet viel von seinem, nennen wir es buntem, Leben.

Ich würde dennoch empfehlen, mit Feuer in Berlin (Original: March Violets) zu beginnen. Es macht die Zeitreise von heute in die Zwanziger und Dreißiger, also die Weimarer Republik und das Dritte Reich um einiges einfacher. Waschechter Berliner und Weltkriegsveteran Bernhard Günthers kunterbunter Lebensabschnitt beginnt in den letzten Jahren des ersten demokratischen Deutschlands: der Weimarer Republik. Für heutige Leser braucht es etwas Zeit sich in die Zeit der ‚Roaring Twenties‘, der großen Depression, hoher Arbeitslosigkeit und politischer Instabilität zu versetzen. Obwohl, manches kommt einem erschreckend aktuell vor.

Das erste demokratische Deutschland: Weimar 1918 – 1933

Wer das deutsche Schulsystem durchlaufen hat glaubt sich mehr als ausreichend vertraut mit der Zeit. Dennoch schafft es Kerr durch seine tief recherchierten Hintergründe und Biografien der VIPs der Zeit die Lektüre zu einem unterhaltsamen und lehrreichen Zeitvertreib zu machen.

So war ich überrascht, zu erfahren, dass Hugo Boss einst als Uniformschneider zum Großunternehmen wurde. Die Modefirma hat ihre Geschichte inzwischen aufgearbeitet und die Ergebnisse publiziert. Mir war das dennoch neu. Die Hauptdarsteller des Reichs, Himmler, Goering, Heydrich und auch die weniger bekannten wie Arthur Nebe und Adolf Eichmann tauchen in Nebenrollen immer wieder auf. Ihre Charaktere und insbesondere ihre Schrullen wie Okkulte Zeremonien, verrückte Hobbies und manchmal ihre versteckte Homosexualität oder ihr jüdisches Familienerbe sorgen manches mal für lehrreiche und unterhaltsame Momente.

Später in Bernies Leben, in seinen Fünfzigern, tauchen auch immer wieder Größen der Nachkriegszeit auf: Ernest Hemingway, Evita Perón und auch Erich Mielke, seines Zeichens Chef der Stasi.

Okay, Günther ist gut. Was hat er mit Reacher zu tun?

Oberflächlich betrachtet nicht viel, beide waren Polizisten und Soldaten. Reacher war beides gleichzeitig, Günther erst das eine, dann das andere und dann wieder das eine. Nur eine kurze Zeit als Ermittler in der Wehrmachtsuntersuchungstelle für Kriegsverbrechen (lehrreicher Moment, die gab es wirklich) war er beides.

Was beide eint sind ihre Charakterzüge. Nach etwa zwanzig Seiten glaubte ich Günther zu kennen. Ich hatte so ein ‚den kennste doch irgendwoher‘ Gefühl. Beide sind komplett bullshit-freie Persönlichkeiten, lassen sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen und beide sind keine Engel. Lee Child, Autor der Reacher Bücher, würde wohl sagen ’sie töten wer getötet werden muss‘. Ihr zu großes Maul, ihr Sarkasmus, ihr Problem mit Autoritäten sind so ähnlich, man könnte sie für Vater und Sohn halten.